Aufgrund der Allmacht des Staates erscheint eine Veränderung des staatlich organisierten und kontrollierten Schulwesens bis auf weiteres unmöglich. Wer es unternimmt, eine „freie“ Schule zu gründen, sieht sich sofort mit zahlreichen gesetzlichen und behördlichen Zwängen bezüglich der vorgeschriebenen Abschlüsse, Prüfungsordnungen, Lehrpläne, Personalverordnungen usw. konfrontiert, die eine freie Bildungsgestaltung unmöglich machen. Lassen sich unter diesen Voraussetzungen überhaupt realistische Alternativen zum derzeitigen Bildungswesen organisieren? Betrachten wir zunächst die Frage, welche zentralen Aufgaben die Schule zu erfüllen hat. Wenn unser Grundgesetz die freie Persönlichkeitsentfaltung als ein Grundrecht formuliert, und wenn das Sozialgesetzbuch festschreibt, dass jeder junge Mensch ein Recht auf Entwicklungsförderung sowie auf Erziehung zur Eigenverantwortlichkeit und zur Gemeinschaftsfähigkeit hat, dann sind damit die grundlegenden Ziele der Schulbildung klar bezeichnet. Weil sich aber unterschiedliche Menschen im Verlauf ihres Lebens vielfach mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert sehen, unterscheiden sich auch die zur Lebensgestaltung jeweils erforderlichen Fähigkeiten voneinander: Jeder Mensch lebt seine eigene Biografie und benötigt zu deren Gestaltung jeweils ganz bestimmte Fähigkeiten, die er sich im Verlauf seines Lebens aneignen muss. Da das gesellschaftliche und persönliche Leben in unserer Zeit beständigen Veränderungen ausgesetzt ist, fällt der Großteil der benötigten Bildung in das Erwachsenenalter und verteilt sich gewissermaßen über das ganze Leben. Das heißt aber: Jeder Mensch muss sich im Verlauf seines Lebens seine eigene individuelle Bildungsbiographie selber gestalten. Und die zentrale Aufgabe der Schule ist es, Kinder und Jugendliche so gut wie möglich mit Fähigkeiten zum selbständigen Bildungserwerb, d.h. zur Selbstorganisation ihrer eigenen Bildung auszustatten. Wenn wir diese grundlegende Zielsetzung noch etwas differenzieren, dann lassen sich drei unterschiedliche Teilziele herausarbeiten: •Jeder junge Mensch soll sich, wenn er die Schule verlässt, in unserer Gesellschaft zurechtfinden, d.h. den allgemeinen gesellschaftlichen Anforderungen gerecht werden können. •Er soll die Fähigkeit entwickeln, sich in Bezug auf unterschiedliche Wissens- und Erlebnisbereiche möglichst vielseitig zu orientieren. Das ist besonders für die eigene Flexibilität im Arbeitsleben von großer Bedeutung, betrifft aber auch eine erfüllende und ausgewogene Gestaltung des Privatlebens. •Jeder Mensch soll in der Lage sein, eigene Vorhaben und Projekte zu verwirklichen und selbständig zu gestalten. Schulabschlüsse sind – inhaltlich betrachtet – eine überflüssige und oftmals schädliche Beurteilung des vermeintlichen Leistungsvermögens von Schülern. Die staatlich vorgeschriebenen Abschlüsse ignorieren jegliche Individualität der Menschen und pressen die Aktivitäten der Schüler und deren Bewertung in ein willkürlich festgelegtes Schema, an deren Ende eine Durchschnittsnote oder Punktzahl ohne jede konkrete Aussagekraft steht. Es wäre folglich ein langfristiges Ziel, die „Abschlüsse“ durch einen individuell betreuten Übergang in ein selbständiges Leben zu ersetzen. Die Dauer der Schulzeit erstreckt sich demnach sinnvollerweise bis zu einer hinreichenden Ausbildung der zur Lebensbewältigung erforderlichen Fähigkeiten, wobei ein volljähriger Mensch selber entscheiden kann, inwieweit er unterstützende Dienstleistungen der Schule in Anspruch nehmen will. Insofern wäre es sinnvoll, dem jeweils einzelnen Schüler eine angemessene individuelle Gestaltung seines Überganges von der Schule in die Selbständigkeit zu ermöglichen. Bei entsprechendem Bedarf käme auch eine organisierte Beratung auf dem Weg in das Arbeitsleben durch entsprechend ausgebildete Lehrer in Frage. Die Initiative hierzu müsste aber vom Jugendlichen selber ausgehen. Zum Seitenanfang